Berittene Boten
Kammerrat Volkmar freut sich über seine vortreffliche Gastfreundschaft und seine Schlauheit, den Kurprinzen von Sachsen in seiner Maskerade erkannt zu haben. Vor allem aber freut er sich auf das, was ihm das einbringen wird. Eine Erhebung in den Adelsstand wäre fast zu viel! Einen schönen Posten in Dresden? Er schreibt einen Brief an seinen Kurfürsten August den Starken, um ihm zu versichern, dass es dessen Erben gut geht. „Haben den Prinzen versorgt und seine Maskerade nicht entdeckt – gönnen dem Jüngelchen sein Spiel. Er wird einmal ein vorzüglicher Diplomat!“, schreibt er. Versiegelt, reibt sich gaunerhaft die Hände und schickt seinen schnellsten Boten los.
Dem Kammerrat entgeht das Getuschel der Adligen in den umliegenden Orten. Sie zerreissen sich längst das Maul über das Treiben im Schloss. Der Kurprinz, so weiss hier jede, die auf sich hält, weilt in Paris zurzeit. Er kultiviert Sprache und Umgang der gehobenen Gesellschaft, erntet hie und da ein Bisou von französischen Lippen.
Der Dame G. liegt die Zukunft des Prinzen besonders am Herzen. Ihre Tochter G.G. soll ihm einmal auffallen. „Das darf nicht der Sohn August des Starken sein, der da auf dem Jagdschloss wohnt zurzeit“, denkt sie, wenn sie hinüber schaut zu dem Gipfel auf dem klein die weisse Burg sitzt. Sie hat von Orgien gehört die dort gefeiert würden, zu denen weder sie noch ihre Tochter eingeladen waren. Doppelter Schreck.
Also setzt auch Dame G. sich hin, dem Kurfürsten einen Brief zu schreiben. Sie muss Klarheit haben. Versiegelt den Brief, seufzt, blickt zum Schloss und schickt ihren schnellsten Boten los.
„Was ist das für ein Chaos in Augustusburg!“, denkt der Kurfürst und blickt von dem winzigen indischen Prinzen in seiner Hand auf. Das Porzellan ist warm geworden vom langen Halten. Seine bunten Gewänder sind kunstfertig bemalt, die Augen funkeln schwarz. Bis eben hat August der Starke mit der Figur gespielt. Heimlich hat er sich in die Gestalt des Prinzen geträumt. Wie es wäre, wie er auf dem Rücken eines geschmückten Elefanten sitzend tausende Sklaven mit Reichtum aus allen orientalischen Ländern zu empfangen. Er war glücklich in seinem Fantasiereich uneingeschränkter Macht.
Tatsächlich herrscht er erst über Sachsen und Polen. Für seinen Sohn, nach ihm Friedrich August benannt, hat er größere Pläne. Um diese scheint es hier zu gehen: er reckt staatsmännisch den Rücken. Dann schickt er seinen schnellsten Boten los. Soll der nach dem Rechten sehen.
Als der Bote aus Dresden in die Augustusburg stürmt, wird gerade ein Fest zur Rückkehr des Prinzen vorbereitet, der seit einigen Tagen mit Gefolge im Gebirge auf Jagd ist. Er wünscht bei seiner Rückkehr mit den besten Leckereien und schönster Gesellschaft empfangen zu werden. Die Neigung für wilde Sportarten ist neu, er betreibt besonders die Bärenjagd mit Ehrgeiz. Das mag wohl die Jugend sein.
Am Abend der Rückkehr des Prinzen, der sich nach wie vor mit dem Namen „Alois“ anreden lässt, wird ein Fest gefeiert. Es wird auch der Bote aus Dresden gesehen. Er fällt kurz vor dem Prinzen auf’s Knie, springt dann regelrecht auf und reitet noch in der Nacht zurück nach Dresden. Sein Herz klopft vor Aufregung.
Skandal auf der Augustusburg!
Bald nach dem Besuch des Boten macht in den Dörfern um Augustusburg eine Sensation die Runde: Eine Hochstaplerin ist enttarnt, die sich als „Prinz Alois“ ausgegeben hat. Ein Mädchen! Um eine Zeugmacherstochter handelt es sich. Ohne Widerstand wird sie festgenommen und in den Kerker der Augustusburg geworfen. Die gesamte Gegend ist in Aufruhr. Wie konnte das geschehen? Wer hat sich da so sehr hinters Licht führen lassen?!
Hätten es nicht alle besser wissen müssen – von Anfang an?
Jetzt sitzt sie inmitten von Dunkelheit. Sie kann einen Reigen von Tropfen hören, der sich aus einer Ecke oberhalb ihres linken Ohrs zu Boden stürzt. Einer nach dem anderen. In endloser Folge klatschen sie auf den feuchten Steinboden und von dort gegen ihr Zwerchfell. Zwischendurch hat sie sie gezählt und kam auf zwölftausendsechsunddreissig, aber sicher ist sie sich nicht. Danach tropfen sie weiter.
Sie denkt wieder an L., an die dunkelfarbigen Augen. Hätte sie etwas anders machen sollen. Sie denkt, dass es so kommen musste, früher oder später. Dass sie hier landen musste. Irgendwie ist sie auch ein bisschen erleichtert. Könnte sie schuld daran haben? Ihr fällt nichts ein.
Im Eilverfahren fällt das Schöpfengericht in Leipzig ein Urteil.
„So ist Sophia Sabina Apitzsch mit Staubenschlägen des Landes ewig zu verweisen, es wäre denn, (…), solche Leibesstrafe ohne Gefahr ihres Lebens und Gesundheit an ihr nicht zu exeguieren worüber allenfalls eines verständigen Medici Gutachten einzuholen und zu den Akten zu bringen. Auf den Fall wäre, ohne diesselbe, die ewige Landesverweisung an ihr zu vollstrecken, auch sie sodann, da sie es im Vermögen hat, die auf diesen Prozess gewandten Unkosten abzuführen schuldig.“
August der Starke trinkt den letzten Schluck Wein und winkt eine neue Flasche herbei. Er schaut auf den Brief vor sich. Ein Gesuch um Abmilderung der Strafe für Prinz Lieschen, wie die Hochstaplerin im Kerker der Augustusburg inzwischen genannt wird. Er stammt aus der Hand einer Dame G.G., herzzerreißend. Nicht der erste Brief dieser Art. Die Leute lieben „Prinz Lieschen“. Das Stäuben ist eine ehrlose Strafe, hat sie das verdient? Bestimmt, wenn man an die Blöße denkt, die sie ihrer Hoheit zugefügt hat.
Aber sie ist August dem Starken auf seltsame Weise sympathisch, sie ist ein Schelm, hat Fantasie, schade, dass er sie nie kennen lernen wird. Aber er möchte etwas Gutes für sie tun. Und dem geistlosen Volkmar eine Lehre erteilen. Mit dieser Art vorauseilendem Gehorsam kennt er sich aus, er ist gefährlich für einen Herrscher.
Prinz Lieschen ist ein Glückskind, entschließt er. Er erhebt sich zufrieden, um sich im Park einer Mätresse zu widmen, die ihren Reiz verloren hat. In Warschau hat er eine, die ihm zurzeit lieber ist. Ob er bald wieder hinfährt?
Es geht weiter. Nächste Woche folgt der letzte Teil.